April 5th, 2023

Zeichen des Friedens – 65 Jahre Peace Symbol

Vor 65 Jahren wurde eines der wohl weltweit berühmtesten Zeichen geboren. Was hat es damit auf sich und warum brauchen wir Symbole überhaupt?

In sozialen Bewegungen und politischen Aktionsfeldern fungieren Symbole als Geste einer fiktiven oder auch faktischen Gemeinschaft. Ferner sind sie Ausdruck von Zugehörigkeit, sei es in dem Sinne, dass man sich einer bestimmten Community zugehörig fühlt oder einer bestimmten Idee, einem Glaubenssatz, einem Werteverständnis anhängt. Symbole schaffen überdies ein Gefühl der Identifikation – entweder mit einer Gruppe Gleichgesinnter oder auch als Form der Selbstidentifikation: Wer bin ich, wer will ich sein, wofür stehe ich, wem oder was fühle ich mich zugehörig? Nicht zuletzt eröffnen Symbole Möglichkeitsräume um Handelnde Akteur:innen sofort zu identifizieren: „Ah, das ist einer von uns!“ Oder: „Ah, zu denen will ich auch gehören“.

Ein Prinzip, das sich auch Unternehmen, PR-Agenturen ebenso wie totalitäre Regime längst zu eigen gemacht haben. Und das häufig in – manchmal etwas peinlich-durchschaubaren, manchmal subtilen und somit vielleicht erfolgreichen Versuchen mündet, eine undefinierte Masse hinter sich zu scharen und ihnen ein Symbol als identitätsstiftendes Ermächtigungs-werkzeug an die Hand geben. Je nach Kontext handelt es sich dabei wahlweise um einen NIKE-Swoosh, den ausgestreckten Arm zum Hitler-Gruß, oder das PEACE Zeichen als Friedenssymbol. Das Prinzip dahinter bleibt dasselbe.

Wie finden Symbole ihre Verbreitung?

Symbole finden insofern Verbreitung, als sie grundsätzlich mit „Beziehung“ zu tun haben. Sie stehen in Beziehung zu etwas. Aber sie setzen auch Dinge oder Menschen in Beziehung zueinander. Sie stellen Beziehungen entweder dar oder her. Das bedeutet nicht, dass sie unweigerlich versöhnlich wirken. Im Gegenteil: Auch Hierarchien und Machtverhältnisse, Ausgrenzung und Diffamierung sind Beziehungsformen. Auch diese werden durch Symbole repräsentiert. Der Grundgedanke bleibt dabei immer bestehen: dass das Symbol als Projektionsfläche dient, sich hinter einer Idee zu vereinen – für oder gegen etwas zu stehen. Wenn es sich sowohl bei der Idee um eine große Idee handelt – ob gut oder schlecht – und das Symbol einprägsam und prägnant wirkt, dann ist zumeist auch der Weg für seine starke Verbreitung geebnet. Die digitalen Informations- und Kommunikationskanäle fungieren hier heute häufig als rasanter Multiplikator.

Es geht dabei im Übrigen bei weitem nicht allein um visuelle Zeichen, sondern um alles mögliche. Dinge können Zeichen sein. Situationen können Zeichen sein. Körperbewegungen, Gesten, Wörter, Sprache, Interaktionen. Also letztlich alles, was wir uns vorstellen können. Aus Perspektive der Designforschung sind freilich die „artifiziellen“, die „künstlich“ geschaffenen Dinge am spannendsten. Diejenigen also, die von Menschen ausgedacht und (nicht selten für sie) angefertigt wurden – Gestaltete Dinge also, mit z.B. visuellen oder materiellen Erscheinungsformen. Diese bringen nicht nur (Un-) Ordnung in unsen Alltag, sondern sind dabei ihrerseits Gegenstand von Ordnungsprozessen. Sie sind Geschaffenes und Schaffendes zugleich.

Wenn der Mensch beispielsweise ein Symbol der Freiheit oder auch der Unterdrückung entwickelt, das einer bestimmte Art der Weltanschauung entspringt und das für eine bestimmtes Handlungsverständnis steht, so kann es sein, dass dieses Symbol sich seinerseits aktiv in unsere Handlungsweisen einmischt und sich auf unsere Alltagspraxis auswirkt. Es kann also sein, dass wir mit gestalterischen Mitteln Dinge entwickeln, die ihrerseits bestimmte Sachzwänge generieren, denen wir dann selber gewissermaßen ausgeliefert sind. Was wir gestalten, gestaltet uns immer auch ein Stück weit zurück.


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Wie entfremdete sich das Peace-Zeichen von seinem ursprünglichen Kontext?

In seiner gesamten Bandbreite an unterschiedlichen Erscheinungsformen auf Postern, Stickern, T-Shirts, Plattencovern, Malereien, Performances und dergleichen, nimmt das Peace Zeichen einen prominenten Platz im visuellen Kulturerbe ein. Der Grenzverlauf zwischen Underground und Popkultur ist und war dabei stets fließend. Früher oder später läuft so etwas immer auch Gefahr, beliebig zu werden und seine Drastik zu verlieren. Ein Peace Zeichen auf einem handgemalten Plakat, das vom Wasserwerfer weggefegt wird, ist etwas anderes, als eines, das auf einem Hochglanz Plakat auf dem Billboard einer weltmarktführenden Parfümmarke zu sehen ist. Die Popularisierung einer Idee geht immer auch mit der Entwertung ihrer Kernmotivation einher. Ein Dilemma, das vielleicht selten so deutlich wurde wie beim Peace Zeichen.

Was führte schließlich dazu, dass es politisch verblasste?

Wie bei den meisten sozialen Bewegungen, die sich zunächst dadurch auszeichnen, scheinbar machtlos zu sein, spielen Symbole eine nicht unbedeutende Rolle, dieses Gefühl der Machtlosigkeit in sein Gegenteil zu verkehren und als Machtinstrument zu etablieren. Das funktioniert nachvollziehbarerweise nur so lange, wie es wirklich für oder gegen etwas steht. In dem Moment, wo das Symbol zur bloßen Staffage verkommt, zum Gimmick oder Maskottchen wird, läuft es schnell Gefahr seine Wirkmacht zu verlieren. Das zerrissene T-Shirt im Punk als Ausdruck einer DIY-Ästhetik und Medium der Konsumkritik wird in dem Moment ad absurdum geführt, wenn ich es für 7,99 bei H&M kaufen kann. Einen ähnlichen Entwicklungsverlauf konnten wir sicherlich auch beim Peace Zeichen beobachten, wobei man auch festhalten muss, dass es sich derart tief in unser kulturelles Zeichenrepertoire eingeprägt hat, dass seine Kernidee immer noch transportiert wird – wenn auch vielleicht nicht mit derselben Vehemenz wie einstmals.

Wie wurde es zum bekanntesten Symbol weltweit?

Das Zusammenspiel aus einem allgemein friedensbewegten Zeitgeist vor dem Hintergrund der großen Weltkriege und einer nachwachsenden Generation die sich von den ihnen vorausgehenden Strukturen abgrenzen wollte einerseits, und neu aufkeimenden Krisenherden andererseits, gepaart mit einem global in Erscheinung tretenden popkulturellen Phänomen einer Jugend- und Protestkultur hat sicherlich maßgeblich zur Erfolgsgeschichte des Peace Zeichens beigetragen.

Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang ist, dass die Grenzen zwischen „politisch-revolutionärer und künstlerisch-avantgardistischer“ Gestaltung (Bieber 2012, 85) zunehmend fließend sind. Denn einerseits scheinen sich politische Protestformen – etwa in Bezug auf Kom-munikationsstrategien – den Mitteln der Kunst und des Designs anzunähern (vgl. Bieling 2019, 9ff), andererseits zeichnet sich die (insbesondere Werbe-) Industrie nicht zuletzt darin aus, selbst die radikalste Form von Gegenbewegung zu inkorporieren, etwa indem sie sich die „Ästhetik der Revolution“ aneignet. Das haben wir u. a. bei Flower Power und insbesondere auch bei Punk beobachten können. So dass ein Dilemma schnell deutlich wird: Angesichts von Kommerzialisierung, Medialisierung und Globalisierung gehen alternative, kritische Wertesysteme (wie z. B. solche, bestimmter sozialer Bewegungen, Jugend- und Popkulturen) früher oder später in den kulturellen Mainstream über und werden in die „Ästhetik des Alltags“ integriert. Und nicht zuletzt: popularisiert. So geschehen auch beim Peace Zeichen.

Kann man Symbole neu interpretieren?

Grundsätzlich kann man mit Symbolen alles mögliche machen. Denn sie selber sind in den seltensten Fällen wirklich festgeschrieben, sondern immer auch an unterschiedliche Bedeutungszuschreibungen geknüpft. Die Bedeutung, die wir einem Symbol zuschreiben, hat jedoch zumeist weniger mit dem Symbol als solchem, sondern vielmehr mit uns selber zu tun. Welches Erfahrungswissen bringe ich mit, welche Anforderung stelle ich an eine Sache, was sind meine Wünsche, Ängste, Hoffnungen? Und diese können von Mensch zu Mensch und von Zeit zu Zeit stark divergieren. Das Symbol wird dabei zu einer Art Verhandlungsmasse. Es erzeugt seine Bedeutung nicht aus sich selbst heraus, sondern wird mit Bedeutung aufgeladen. Es ist folglich nicht festgeschrieben, sondern variabel und interpretierbar.

Ein Symbol kann folglich von unterschiedlichen Gruppen ganz unterschiedlich gelesen und für eigene Zwecke instrumentalisiert wird, woraus sich wiederum bestimmte Codes der Zugehörigkeit oder des Ausschlusses ergeben. Dabei kommt es mitunter zu Bedeutungs-überlagerungen, die sich gegenseitig verstärken können oder aber sich konträr zueinander verhalten, wodurch es abermals zu Deutungs- und Aushandlungsprozessen kommt. Ein Phänomen, das gerade im digitalen Kontext – Stichwort: Remix Culture – nochmal ganz eigene Dynamiken entwickelt. Auch das Peace Zeichen hat hier diverse Prozesse der Abwandlung, Neuinterpretation, Verfremdung und Fortentwicklung durchlaufen, die einerseits vielleicht zu seiner Demontage beigetragen haben, andererseits dabei aber immer auch seine Popularität untermauert und fortgeschrieben haben.


Der Text basiert teilweise auf Passagen eines Interviews mit dem Autor, das am 6.12.2022 im Zuge einer ARTE Produktion von Frédérique Veith geführt wurde.
Urheber des auch als CND-Zeichen bekannten Friedenssymbols ist der britische Grafiker Gerald Holtom (1914 –1985). Im Auftrag der britischen Kampagne zu nuklearer Abrüstung „Campaign for Nuclear Disarmament (CND) gestaltete er das prägnante Symbol zum 21. Februar 1958. Im Zeichensatz Unicode ist es als U+262E PEACE SYMBOL zu finden.

References

Bieber, Alain (2012): „Gesellschaftliche Utopien. Oder: Wie politisch ist die Kunst? Ein Essay“. In: Besand, Anja (2012) (Hg.): Politik trifft Kunst. Zum Verhältnis von politischer und kultureller Bildung. Bonn, S. 83-93

Bieling, Tom (2019): Designing Activism. In: Tom Bieling (Ed.): Design (&) Activism – Perspectives on Design as Activism and Activism as Design. Design Meanings / Mimesis International, Milano, 9–34.

Download & Citation Info

Bieling, Tom (2023): Zeichen des Friedens – 65 Jahre Peace Symbol. DESIGNABILITIES Design Research Journal, (04) 2023. https://tinyurl.com/y6hsuep5 ISSN 2511-627