December 1st, 2025

Von der Subjektivierung des Designs

Im Übergang von der industriellen zur digitalen Gesellschaft erleben wir eine grundlegende Verschiebung: Während im Design der Fokus lange auf Objekten, aber auch dem Versuch einer weitgehenden Objektivität lag, scheinen wir heute (wieder) (1) in einer Zeit angekommen, die durch die Aufwertung des Subjekts gekennzeichnet ist. Der im Titel dieser Ausgabe hinterlegte, englische Begriff Subjects kann hier durchaus in seiner Mehrdeutigkeit aufgefasst werden – sowohl als Themen als auch als Subjekte. Diese Bedeutungsverschiebung steht im Zentrum eines Wandels, der das Verständnis von Design grundlegend beeinflussen dürfte.

In der Ära des industriellen Designs dominierte das Objekt – funktional, standardisiert und massenproduziert. Design zielte darauf ab, das Objekt von den Fesseln des Persönlichen zu befreien und eine gewisse Objektivität zu gewährleisten. Die Moderne strebte nach universalem Nutzen und einer homogenen User Experience, die den Einzelnen nicht als Indiduum, sondern als repräsentativen Teil einer Gruppe Nutzender innerhalb einer gestalteten Welt sah. Heute jedoch hat sich das Blatt gewendet. Im digitalen Zeitalter, das durch Personalisierung, Interaktivität und Vernetzung definiert ist, rückt das Subjekt in den Vordergrund. Dieses ist nicht mehr nur Rezipient von Designobjekten, sondern selbst eine aktive, teilnehmende Instanz im Designprozess. Der Mensch als Subjekt tritt in den Mittelpunkt.

Damit einhergehend leben wir in einer Zeit der HyperPersonalisierung. Algorithmen entwerfen unsere individuellen Erfahrungen, maßgeschneidert auf unsere Vorlieben, Gewohnheiten und sogar unser emotionales Erleben. Was zählt, ist nicht mehr die universelle Wahrheit, das allgemeingültige (Design-) Objekt, sondern das subjektive Empfinden – das Ich. Fürs Design selbst ergeben sich daraus neue Herausforderungen: Wie gestaltet man für eine fragmentierte Welt, in der das Individuum im Zentrum steht? Wie kann Design den Ansprüchen gerecht werden, die von individuellen, gefühlsmäßigen und identitären Bedürfnissen ausgehen?

In dieser Verschiebung tritt das Design von Objekten in den Hintergrund. Design ist nicht länger nur der Versuch, Objekte in ihrer Form und Funktion zu perfektionieren. Vielmehr geht es heute darum, die Beziehung zwischen Subjekten und ihren Umgebungen zu gestalten – sei es im physischen oder im digitalen Raum. Jedes Subjekt wird zum eigenen Design-Objekt, das seine Umgebung und die Gegenstände, mit denen es interagiert, auf personalisierte Weise interpretiert und gestaltet.

Marshall McLuhans berühmtes Diktum, „das Medium ist die Botschaft“ (McLuhan & Fiore 1967) ließe sich angesichts dessen erweitern: Das Subjekt ist das Medium. Mit der Implementierung des Subjekts in die digitale Welt verändert sich der Fokus von einer objektiven Designpraxis zu einer Praxis, die das Subjekt als wandelbares, dynamisches Medium betrachtet. Im Zeitalter der sozialen Medien und der identitätsverändernden Plattformen (02) sind wir die Medien, durch die Designobjekte hindurch fließen. Unsere Identitäten und Erfahrungen prägen die Art und Weise, wie Design wahrgenommen und genutzt wird.

Das hat weitreichende Folgen: Objektivität als Designideal verschwindet zugunsten einer subjektivierten Weltanschauung. Alles ist persönlich empfunden, identitätsbasiert, alles – geahnt haben wir das schon immer – letztlich immer auch Geschmacksache. Jeder Entwurf ist somit eine Botschaft an das Subjekt, die von diesem wiederum individuell interpretiert und somit letztlich auch modifiziert wird.

Dies stellt die alte Trennung von Designer:innen und Nutzenden in Frage – denn die einst so passiven, entsubjektifizierten Subjekte sind längst zugleich Gestaltende ihrer eigenen Erfahrungswelten geworden. Diese neue Rolle des Subjekts im Design bringt gleich mehrere Herausforderungen mit sich. Zunächst die Frage der Fragmentierung: Läuft das Design in einer Welt, in der jede Erfahrung zunehmend fragmentiert und hochgradig personalisiert ist, Gefahr, sich aufzulösen in unzählige Variationen, in denen kohärente Narrative oder visuelle Identitäten schwer möglich sind? Diese Fragmentierung fordert die Designpraxis auch dahingehend heraus, dass das identitätsbasierte Design eine neue Dimension von politischer und sozialer Spannung mit sich bringt. Design, das sich an identitären Themen orientiert, läuft dabei immer auch Gefahr, stärker in kulturelle und politische Spannungsfelder zu geraten. (Wie) kann Design zu einer offenen, entkrampften Gestaltung von Identität beitragen, ohne in identitäre oder politische Kämpfe verwickelt zu werden? Kann es das überhaupt – in einer Gesellschaft, in der Identität derart omnipräsent ist?

Dass sich Design mitunter radikal vom Objekt (bzw. dem Objektiven) hin zum zur Subjektivität verschiebt, bleibt gleich in mehreren Zusammenhängen nicht folgenlos. Was in bestimmten Teilbereichen (und -diskursen) des Designs zeitweise geradezu verpönt schien, nämlich, dass der / die Designer:in als Subjekt hervortritt, individuelle Erfahrungen und Ansichten in die Gestaltung einbringt, scheint wieder salonfähiger und erscheint stellenweise fast schon grundsätzlich notwendig. (03)

Auch, weil Aspekte wie kulturelle Bedeutung oder emotionale Resonanz, aber auch Vielfalt, Mehrdeutigkeit und persönliche Ausdrucksformen verstärkt in den Vordergrund rücken.

Sowohl für Designer:innen als auch deren Rezipient:innen ergibt sich daraus den Spagat zwischen subjektivem Empfinden und objektiver Argumentation zu wagen – stets im „nicht immer zufriedenstellenden Versuch, über oberflächliche Bewertungen hinauszugehen und auszuprobieren, wie sich Produkte aus verschiedenen Perspektiven betrachten lassen“ (Vgl. Bieling 2024, 243). Wird man sich dieser „fortwährenden Mensch-ObjektKommunikation bewusst, so wird deutlich, dass Produkte niemals von allen Menschen gleich wahrgenommen und rezipiert werden können. Jede:r hat einen anderen Hintergrund und besitzt andere Voraussetzungen, vom subjektiven Geschmack ganz zu schweigen.“ (Wellen 2024, 77) In einer Welt, die zunehmend von Identität und Subjektivität geprägt ist, wird Design somit zu einem Spiegelbild dieser tiefen inneren Strukturen. Es ist nicht mehr nur die Schöpfung von Objekten; es ist die Schöpfung der Subjektivität selbst.

Das vorliegende DESIGNABILITIES Themenheft Design Subjects nähert sich diesem Themenkomplex folgerichtig indem es ihn aus unterschiedlichen (Gestaltungs- und Diskurs-) Perspektiven beleuchtet.

Jonathan Kuhlmann behandelt die politische und soziale Bedeutung der städtebaulichen Entwicklung im Offenbacher Hafenviertel. Er untersucht, wie räumliche Gestaltung soziale Spannungen und Machtverhältnisse reflektiert, indem öffentliche und private Interessen aufeinanderprallen. Kuhlmann vergleicht dabei seine subjektiven Wahrnehmungen mit soziologischen Theorien und beobachtet eine zunehmende soziale Exklusion durch Homogenisierung und Kontrolle des Raums, während das Hafenviertel ursprünglich als inklusiver Ort geplant war.

In Fachjargon und Verschleierung untersucht Franziska Muncz die Problematik der Sprachverwendung im Designkontext und vergleicht diese mit Adornos Konzept des „Jargon der Eigentlichkeit“ (Adorno 1964). Sie kritisiert, dass Fachjargon im Design oft als Schutzschild dient, um mangelnde Substanz zu verschleiern und die Relevanz des Designs zu betonen. Muncz plädiert für eine präzisere und transparentere Sprache, um Missverständnisse zu vermeiden und die wissenschaftliche und praktische Bedeutung des Designs besser zu kommunizieren.

Johannes Bietz untersucht den Unterschied zwischen Design und Engineering anhand einer Hängebrücke aus dem Hambacher Forst. In diesem Zusammenhang kritisiert er den weit gefassten Designbegriff und argumentiert, dass Design sich durch die Kombination von Ästhetik und Funktion von Engineering unterscheidet, das sich ausschließlich auf Funktionalität konzentriere.

Mit der symbolischen Bedeutung von Designobjekten und der Art, wie sie von den Nutzenden interpretiert werden können, beschäftigt sich Samuel Schön. In seinem Beitrag nimmt er vor allem die kommunikativen Apskete des Designs in den Blick. Hierbei stellt er zwei eigentständig entwickelte Methoden zur Entschlüsselung zur Sprache der Dinge vor: die mimische Imitation und die bildhafte Darstellung durch Emojis, die helfen sollen, die emotionale und symbolische Bedeutung von Designgegenständen zu verstehen.

Gilberto Vivenzio untersucht in seinem Beitrag Hohlräume des Sub- und Objektiven das Verhältnis von Poesie und Prosa im Design. Er zeigt, wie Design sowohl ästhetische als auch funktionale Dimensionen vereinen kann, ähnlich wie Poesie und Prosa unterschiedliche narrative Formen nutzen, aber auf einem gemeinsamen Fundament – der Sprache – basieren. Vivenzio argumentiert, dass Design sowohl schöpferisch-poetische als auch rational-prosaische Elemente integrieren kann und regt dazu an, den Designprozess auch als experimentellen, essayistischen Ansatz zu betrachten, der Raum für persönliche Interpretation und individuelle Aneignung lässt.

In seiner Auseinandersetzung mit dem Wert des Vorläufigen nähert sich Killian Pfifferling der Notiz als gestalterische Kulturpraktik an. Diese trage in sich eine Ästhetik des Unvollendeten. Während der vollständige Entwurf eine klare Funktion und eine abschließende Form anstrebe, repräsentiere die Notiz das Offene, das Ungeklärte und das Lückenhafte. Diese Zerstreuung schaffe Freiräume für Prozesse, in denen neue Assoziationen und Ideen entstehen können. Das Unvollendete werde hier zur „Quelle schöpferischer Energie, die gerade in ihrer Offenheit und Unbestimmtheit eine Vielzahl von Gestaltungsmöglichkeiten eröffnet“ (S. 89). In ihrer Vorläufigkeit und Fragmentarität biete die Notiz besondere Möglichkeiten für die Gestaltung und nehme als Medium der Erinnerung und des Denkens eine wesentliche Funktion im Designprozess ein.

(1) Warum an dieser Stelle von (wieder) die Rede ist, wird im späteren Verlauf sowohl dieses Vorworts als auch des Themenhefts deutlich. Es kann hier aber schon mal festgehalten werden, dass Gestaltung im vorindustriellen Zeitalter – also als von Design noch keine Rede war, sondern von Handwerk und dergleichen – ein Möbel vom Schreiner angefertigt wurde, nachdem dieser Maß genommen und individuelle Wünsche, Anforderungen und Bedürfnisse abgeklärt hatte. Im Fokus stand hier das Individuum, das Subjekt. Erst im Zuge der industriellen Märkte (Stichwort: Massenproduktion) begann man für weitgehend unspezifische Gruppen beliebiger Menschen zu arbeiten, was nebenbei bemerkt maßgeblich mit dazu beitrug, dass bestimmte, am Rande der Mehrheitsgesellschaft befindliche Marginalgruppen gestalterisch ausgegrenzt wurden (Vgl. hierzu Bieling 2019). Eine andere Form der subjektiven Gestaltungsperspektive fand sich später in den mitunter bizarren, teilweise unverstandenen Entwürfen so genannter Autorendesigner wieder, die sich bisweilen näher an der Kunst als am Design bewegten und bei denen weniger das Nutzerbedürfnis zu zählen schien, sondern wahlweise die Handschrift, der Ausdruck, das Wagnis oder der Syle einer bestimmten, genialischen Designer:innen-Persönlichkeit repräsentierte, was nicht selten zu dem vielverbreiteten Missverständnis beitrug, man könne bei bestimmten Gegenständen unterscheiden – etwa: zwischen Sofa und Designersofa.

(02) Gemeint ist hiermit das Phänomen, dass man sich heute Avatare schafft, indem man sich
(Schein- oder Wunsch-) Identitäten auf Instagram, TikTok etc. aufbaut, die dann ihrerseits auch wieder Teil der eigenen (neuen Identität) werden. Man könnte auch sagen

(03) Ausgangspunkt dieser These sind nicht zuletzt zahlreiche Diskurse innerhalb meiner
Lehrveranstaltungen, in denen sich streckenweise zwei Lager herauszubilden scheinen: eines davon der Ansicht, Design habe sich vor allem den tatsächlichen, genau analysierten Bedürfnissen und realen Anforderungen unterzuordnen; das andere den Standpunkt vertretend, das wahre Design entstehe gerade erst durch die individuelle Note seiner Schöpfungsinstanz, sei also vor allem dann authentisch, wenn es eine Handschrift trage. Stellvertretend für diesen Diskurs denke ich hier an die Arbeit Hat Autorendesign in der heutigen Zeit eine Daseinsberechtigung? von Mike Wirthensohn & Daniel Weinaus (2023). Diese attestierten dem Autorendesign darin einerseits ein gewisses Maß an Egoismus und Überheblichkeit, anderseits schimmere in ihm häufig auch das Funkeln in den Augen seiner Gestalter:innen hindurch, die den Rezipient:innen nicht selten ein Lächeln ins Gesicht zaubern.

References

Adorno, Theodor W. (1964): Jargon der Eigentlichkeit, Zur deutschen Ideologie. Suhrkamp, Berlin.

Bieling, Tom (2019): Inklusion als Entwurf – Teilhabeorientierte Forschung über, für und durch Design. B.I.R.D. – Board of International Research in Design. Birkhäuser, Basel.

Bieling, Tom (2024): Die Dinge zur Sprache bringen, Projektdokumentation, Seminar, Prof. Dr. Tom Bieling, Sommersemester 2024, HfG Offenbach. [Nicht veröffentlicht]

McLuhan, Marshall & Quentin Fiore (1967): The Medium is the Massage: An Inventory of Effects. Bantam Books, New York.

Wellen, David (2024): Produktsprache als Teil einer Mensch-Objekt-Kommunikation. In: Die Dinge zur Sprache bringen, Seminar, Prof. Dr. Tom Bieling, Sommersemester 2024, HfG Offenbach. S. 72–79 [Nicht veröffentlicht]

Wirthensohn, Mike & Daniel Weinaus (2023): Autorendesign in der heutigen Zeit eine Daseinsberechtigung? In: Forschen im Design, Seminar, Prof. Dr. Tom Bieling, Sommersemester 2023, HfG Offenbach. S. 110–114 [Nicht veröffentlicht]

Download & Citation Info

Bieling, Tom (2024): Von der Subjektivierung des Designs. in: Tom Bieling (Hg): Design Subjects. DESIGNABILITIES Design Research Journal, Issue 10, 10/25. S. 3–10. https://tinyurl.com/3ws7fdsr ISSN 2940-0090 (print) ISSN 2700-5992 (online)