February 17th, 2025
Gestaltung und Unbehagen
Komfort und Unbehagen sind wie zwei Seiten derselben Medaille, die das Wesen unseres Lebens ausmachen. Komfort, so mag man glauben, verleiht uns Stabilität und Sicherheit, während das Unbehagen (Discomfort) uns einerseits ein mulmiges Gefühl vermitteln mag, uns andererseits aber dazu herausfordert, neue Perspektiven in Betracht zu ziehen. Unbehagen kann eine wichtige Rolle dabei spielen, uns dazu zu bringen, über Dinge nachzudenken, die uns stören oder irritieren. Es gibt uns Hinweise darauf, dass etwas nicht in Ordnung ist oder etwas nicht unseren Erwartungen entspricht.
Dieses Unbehagen kann uns motivieren, genauer hinzuschauen, Fragen zu stellen und nach Lösungen zu suchen. Unbehagen ist somit unweigerlich auch ein verlässlicher Motor für Gestaltungsprozesse, die, wie wir seit Herbert Simon (The Sciences of the Artificial) wissen, stets mit der Herausforderung verbunden sind, bestehende Situation in bevorzugte zu überführen. In Bezug auf unser Weltverständnis kann Unbe hagen dazu beitragen, dass wir uns mit Themen auseinandersetzen, die uns verwirren oder herausfordern. Es kann uns dazu antreiben, Unbekanntes zu erforschen, alternative Standpunkte zu erwägen und unsere eigene Sichtweise zu überdenken.
Indem wir uns mit unserem Unbehagen auseinandersetzen, können wir auch mehr über uns selbst lernen und unsere eigenen Werte, Überzeugungen und Vorurteile besser verstehen. Überdies kann Unbehagen dazu beitragen, dass wir uns in der Welt besser zurechtfinden, indem es uns dazu drängt, Probleme anzugehen und uns persönlich weiterzuentwickeln.
Wenn wir uns unwohl fühlen oder etwas nicht richtig erscheint, können wir versuchen, die Ursachen zu verstehen und versuchen, Veränderungen in die Wege zu leiten. Dieser Prozess des Hinterfragens und der Justierung kann uns helfen, uns besser an verschiedene Situationen anzupassen und diese bewusster zu gestalten. Unbehagen ist also nicht nur ein Meilenstein der Transformation, sondern auch ein Halbzeug der Resilienz.
Die Wechselwirkung aus beidem – Komfort und Unbehagen – ist somit ein ständiges Spiel, welches die Dynamik unseres Lebens beflügelt und es aufregend und unterhaltsam macht. Etwas, das uns wachsen lässt und uns ermöglicht, uns weiterzuentwickeln.
Produktivität des Unbehagens
Unbehagen kann auf verschiedene Arten dazu beitragen, die Welt besser zu verstehen, sei es auf physikalischer, politischer, sozialer oder kultureller Ebene. Unbehagen trägt somit auf unterschiedlichen Ebenen dazu bei, unser Bewusstsein zu schärfen, bestehende Annahmen zu hinterfragen, Missstände aufzudecken und Veränderungen zu bewirken. Es ermöglicht uns, tiefer in die Funktionsweise der Welt einzudringen und die komplexen Kräfte zu verstehen, die sie beeinflussen. Nicht zuletzt kann Unbehagen auch dazu beitragen, Fortschritte in Wissenschaft, Technologie und Gestaltung voranzutreiben, indem bestehende Grenzen und Normen in Frage gestellt werden.
Um den Begriff Unbehagen besser einordnen und somit besser verstehen zu können, mag es helfen, sich vor Augen zu führen, was – neben Komfort und Behagen – eigentlich das Gegenteil von Unbehagen ist. Man denke an Begriffe wie Wohlbefinden, Zufriedenheit, Harmonie und Gemütlichkeit. Man denke an Entspanntheit, Frieden, Ruhe und Gelassenheit. Man denke an Gefühle der Leichtigkeit, der Sicherheit oder auch Geborgenheit. Aus der Auseinandersetzung mit den angenommenen oder tatsächlichen Gegensätzen von Unbehagen, schärft sich ein Verständnis dahingehend, was Unbehagen ausmacht.
Die Tatsache, dass Design unweigerlich in gesellschaftliche Prozesse eingreift, impliziert, dass es bewusst oder unbewusst dazu beiträgt, tradierte Wege, Werte und Normen aufrechtzuerhalten oder aber zu überdenken und zu revidieren. Letzteres tut es insbesondere auch dann, wenn es unbehaglich daherkommt, Empörung verursacht, Identitäten und vermeintliche Wahrheiten in Frage stellt, und eben genau nicht die bestehenden Regeln und Bedingungen festigt, sondern ins Wanken bringt. Unbehaglichkeit ließe sich in diesem Sinne als Qualität auffassen, die produktiv ist.
Unbehagen als Forschungsobjekt und Mittel der Gestaltung
Unbehagen lässt sich also auch als Gestaltungsmotor begreifen. Die Auseinandersetzung mit Unbehagen kann wichtige Impulse für Forschung und Gestaltung geben, da es ein Signal oder Anzeichen für potenzielle Probleme, Schwächen oder Bedenken in einem System, Produkt oder einer Idee sein kann. Indem wir uns bewusst mit dem Unbehagen auseinandersetzen, können wir tiefergehende Fragen stellen, neue Perspektiven einnehmen und uns stärker auf potenzielle Risiken oder unerwünschte Auswirkungen konzentrieren. Dieses Unbehagen kann als Katalysator dienen, um kritisch zu reflektieren, was verbessert oder neu gestaltet werden muss.
Unbehagen kann aber auch bewusst als gestalterisches Mittel eingesetzt werden, etwa um emotionale Reaktionen hervorzurufen, die zur Reflexion anregen. Durch gezielte Provokation von Reaktionsmustern der Unbehaglichkeit (auf Rezipient:innenseite) können Designer:innen bewusst Spannungen erzeugen. Unter Umständen führt dies dazu, dass Menschen aus dem Erfahrungswissen des Unbequemen heraus, sich dadurch motiviert fühlen, alternative Sichtweisen in Erwägung zu ziehen oder anders zu handeln.
Als Beispiele hierfür können das sogenannte Critical bzw. Speculative Design herhalten, bei denen Unbehagen immer schon als elementarer Bestandteil des gestalterischen Schaffens gelten kann, indem es auf Seiten der Rezipient:innen absichtlich Unbehagen hervorruft.
Mit den Beiträgen des vorliegenden Themenheftes wollen wir der Frage nachgehen, was eigentlich das Unbehagliche am Design ist und im gleichen Zug herausfinden, inwiefern sich Unbehagen tatsächlich designen lässt. In der Politik des Materials erkundet John BinghamHall die politische Rolle von Material im Design. Er vergleicht das Versagen der gläsernen Kuppel des Berliner Reichstags, die symbolische Transparenz verspricht, aber keine wirkliche politische Teilhabe ermöglicht, mit dem Campo de Cebada in Madrid. Letzterer nutzt recyceltes Holz für Basisdemokratie und Peer-to-Peer Aktivitäten. Hier offenbart das Material nicht nur pragmatische Eigenschaften, sondern auch eine symbolische Ästhetik der Intimität. Holz wird als symbolisch intim und unmittelbar im Gegensatz zu Glas betrachtet, das einerseits Distanz und andererseits Öffentlichkeitswirksamkeit repräsentiert.
Die Frage, ob diese Symbolik eine breitere politische Bewegung (und deren Herausforderungen, Ziele und Probleme) einschränkt oder erweitert, bleibt dabei zentral. Probleme sind komplex. Geahnt haben wir das schon immer, doch einen Namen dafür haben wir erst durch Horst Rittel bekommen. Mit Melvin Webber prägte der den Begriff der Wicked Problems. Der Beitrag Wicked Problems mehr denn je?! von Tom Bieling beleuchtet die Komplexität von Problemen, die sich nicht aus einer einzelnen Perspektive lösen lassen. Diese Probleme sind ineinander verflochten, von verschiedenen Blickwinkeln abhängig und involvieren zahlreiche Interessengruppen. Sie sind schwer zu messen und haben keine eindeutigen Lösungen. Zusätzlich thematisiert der Beitrag die Frage, wie Design allein schon dadurch Macht ausübt, indem es das Leben anderer beeinflusst, und betont die daraus ableitbare Verantwortung von Designer:innen.
In Punktkarten und Inventarspaziergänge setzt sich Wim Cuyvers intensiv mit alternativen pädagogischen Ansätzen auseinander, insbesondere mit der Idee, Studierende aus ihren gewohnten Lernumgebungen herauszubringen. Hierzu legt er ein ausgiebig erprobtes Workshop Konzept dar, bei dem Studierende in Gruppen außerhalb ihrer Lehrinstitution Spaziergänge machen und urbane Umgebungen analysieren. Cuyvers betont die Wichtigkeit des direkten Kontakts mit dem öffentlichen Raum und schlägt vor, dass unvorbereitete, ungefilterte Erfahrungen oft die lehrreichsten sind. Spaziergänge sollen dabei nicht als touristische Ausflüge missverstanden werden, sondern Möglichkeiten bieten, das Wesen des öffentlichen Raums und individueller Anforderungen und Bedürfnisse zu erforschen. Diese Art des Gehens wird in diesem Zusammenhang jedoch nicht als Methode verstanden, da das, was bei diesen Wanderungen passiert außerhalb der Kontrolle der Teilnehmenden liegt. (Es gibt keine Methode für Bildung).
In Blicke, Likes und Klicks erforscht Klaus Schwarzfischer, wie soziale Medien und Influencer:innen funktionieren, indem er verhaltensbiologische Konzepte auf heutige OnlineInteraktionen überträgt. Er erklärt, dass Aufmerksamkeit und Anerkennung in sozialen Gruppen, ähnlich wie bei Tiergesellschaften, einen sozialen Status definieren. Likes und Klicks in sozialen Medien sind moderne Äquivalente zu Blicken und signalisieren sozialen Status. Influencer:innen agieren als digitale Alphatiere, während ihre Follower:innen Vorteile aus dieser Beziehung ziehen. Der Beitrag betont die Relevanz dieser Konzepte für Design, Marketing und das Verständnis der dynamischen Interaktionen in der digitalen Welt und schließt mit einem Gedanken über die Bedeutung von Blickzuwendungen und -abwendungen für ästhetische Erfahrungen und deren Berücksichtigung in Handlungstheorien.
In Zeichen des Friedens reflektiert Tom Bieling über die Bedeutung von Symbolen am Beispiel des Peace-Zeichens, welches im vergangenen Jahr seinen 65. Geburtstag feierte. Der Beitrag hebt die identitätsstiftende Rolle von Zeichen und Symbolen in sozialen Bewegungen und politischen Gruppierungen hervor und beschreibt, wie sie Beziehungen und Zugehörigkeit formen. Dabei diskutiert er auch, wie das Peace-Zeichen seinen ursprünglichen politischen Kontext verlor und dennoch weltweit bekannt wurde. Hieraus geht hervor, wie stark Symbole unterschiedlich interpretiert und für verschiedene Zwecke genutzt werden können, wodurch sie ihre Bedeutung wandeln, aber nicht selten auch deswegen ihre Popularität potenzieren.
Moniek Wiese setzt sich mit der Verwendung von Satire als kritische Methode im Spekulativen Design auseinander. Ihr Beitrag erläutert, wie Satire in verschiedenen Ausprägungen – horazische und juvenalische Satire – genutzt wird, um Artefakte zu gestalten, die den gesellschaftlichen Status quo hinterfragen. Anhand von Beispielen zeigt sie, wie diese Satireformen eingesetzt werden, um Kritik zu üben und Reflexionen über Technologie, soziale Strukturen und zukünftige Entwicklungen anzuregen. Am Beispiel der von ihr so genannten Behörde für geistiges digitales Nicht-Ableben zeigt Wiese mit einem eigenen Projekt auf, wie Satire als Methode im digitalen Raum eingesetzt werden kann.
Kira Pawlewski beschäftigt sich mit der Anwendung psychogeografischer Spekulation als Gestaltungs- und Forschungsmethode anhand des filmischen Werks The City & The City der Künstlerin Mariam Ghani. Der Beitrag beleuchtet die Verwendung psychogeografischer Konzepte und Methoden in Ghanis Arbeit, die sich mit den spatial and racial politics amerikanischer Städte auseinandersetzt. Dabei wird die Verbindung zwischen psychogeografischer Theorie und Ghanis künstlerischer Umsetzung analysiert und mit eigenen experimentellen Erfahrungen in einer ähnlichen Thematik verglichen. Pawlewski untersucht, wie Ghani psychogeografische Elemente nutzt, um eine spekulative Dystopie zu schaffen, die aufzeigt, wie das Unseeing – das bewusste Nicht-Wahrnehmen bestimmter Aspekte der Stadt – die Realität beeinflusst und die sozialen Strukturen widerspiegelt. Durch visuelle und auditive Mittel schafft Ghani eine Desorientierung, die zur Entwicklung von Empathie anregen soll und eine kritische Reflexion über die Wahrnehmung von Städten und Gesellschaft ermöglicht.
References
Download & Citation Info
Bieling, Tom (2024): Gestaltung und Unbehagen. in: Tom Bieling (Hg): Design Discomfort. DESIGNABILITIES Design Research Journal, Issue 06, 10/24. S. 3–10. https://tinyurl.com/fzfm4xnf ISSN 2940-0090 (print) ISSN 2700-5992 (online)