April 14th, 2023
Public Un/Happiness
In einer Welt, in der – nach Jacques Rancière – sämtliche Aspekte des gemeinsamen Lebens den Gesetzen des Marktes untergeordnet sind und politische Visionen fehlen, haben Bilder zunehmend eine alltägliche Rolle eingenommen und prägen alle Bereiche des Lebens. Das Teilen von Bildern in der vernetzten Welt hat eine neue Form der Versammlung und des Begehrens nach Kollektivität hervorgebracht, die die Art und Weise betrachtet, wie sich Menschen heute in die Politik einbringen. In diesem Kontext stellt sich die Frage, ob und welche Veränderungen die Werkzeuge und Praktiken des Image-Sharings im Kontext von revolutionären Aufständen bewirkt haben. Durch die ungerichtete Vergemeinschaftung von Bildern durch allgemeine Partizipation und ihre Fähigkeit, unmittelbare Rückkopplungsschleifen in sich entfaltende politische Ereignisse zu erzeugen, stellen sie eine signifikante Verschiebung in der Verwendung von Bildern dar und geben dem alten Dilemma der historischen Avantgarde, die Welt nicht nur anders interpretieren, sondern verändern zu wollen, eine neue Wendung. (Vgl. Würmell)
In ihrer Forschungsarbeit setzt sich Christine Würmell mit Bilrprotesten und Protestbildern auseinander (vgl. Würmell 2022). Mit der Ausstellung Public Un/Happiness im Ausstellungsraum Magma Maria in Offenbach zeigt sie nun den Praxisteil ihrer Promotion. Der Ausstellungstitel Public Un/Happiness kann dabei als Fortsetzung einer Auseinandersetzung mit dem Verhältnis von Kunst und Aktivismus gelesen werden, die Würmell 2014 in der von ihr kuratierten Ausstellung The Pursuit of Public Happiness? erstmals thematisiert hatte. Damals fragte sie in Bezugnahme auf Hannah Arendts Überlegungen zur Mehrdeutigkeit des Pursuit of Happiness (eines Strebens nach Glück) in der Amerikanischen Unabhängigkeitserklärung (nämlich im Sinne eines privaten, ökonomischen bzw. eines öffentlichen Glücks) danach, wie Künstler:innen und ihre Kunst in Zeiten gesellschaftlicher, kultureller und ökonomischer Unruhen öffentliches Leben reflektieren.
Die Ausstellung Public/Unhappiness entfaltet nun einen Raum, um über die etwa zehn Jahre zurückliegenden Proteste, die unter den Namen Arabischer Frühling und Internationale Occupy Bewegung bekannt wurden, nachzudenken, in deren Kern als Forderung The Pursuit of Public Happiness stand. Was ist geblieben von der Idee einer demokratischen Öffentlichkeit und welche Herausforderungen und Ambivalenzen sind damit verbunden? In Improvisatorische Versammlungen (2016-2023) sind vier Konstellationen den Protesten in New York, Frankfurt, Istanbul und Kairo gewidmet. Sie bestehen aus den Serien Prefigurative, der S/W-Serie und den Scrolls:
1_ Die Serie Prefigurative bezieht sich auf ein partizipatorisches, horizontales Demokratiemodell, aber auch auf partizipatorische emergente soziale und materielle Formen. Das Präfigurative wird mit einem Verfahren digitaler Postproduktion evoziert.
2_ In Referenz auf eine Tradition sozialdokumentarischer Fotografie besteht die S/W-Serie aus Bildern, die Würmell an den jeweiligen Orten zwischen 2008 und 2019 aufgenommen hat.
3_ In der Serie der Scrolls montiert sie beide Bildformen und „vernäht“ sie mit einzelnen Textzeilen aus Zeitungsartikeln zu offenen Narrativen. In den Konstellationen werden unterschiedliche Zeitlichkeiten gegenübergestellt. D.h. einerseits greife Würmell auf Bilder zurück, die sie an diesen Orten in der ersten Dekade des Milleniums aufgenommen hat und stellt beispielsweise den Occupy Wall Street Protesten 2011 Bilder der Lehmann-Pleite 2008 gegenüber. Andererseits hat sie in den Jahren nach den Protesten einige der Orte erneut aufgesucht und dort fotografiert, u.a. den Neubau der EZB in Frankfurt.
Die installative Arbeit Solo-Protester and Support Structure (2018/19) ist im Kontext der Recherchen zu den Gezi Protesten 2013 entwickelt worden. Ausgangspunkt für die Protestschilder in den offen(sichtlich) stützenden Sockel-Gestellen war der schweigend sprechende Protest des Performers Erdem Gündüz und die in den sozialen Medien geteilten Bilder der weltweiten, solidarischen Re-enactments. Direkt nach der Räumung des Gezi Protestcamps unterwanderte Gündüz das durch die Polizei verhängte Versammlungsverbot, indem er nichts weiter tat als sich einzeln still auf den Platz zu stellen. Die dreidimensionale Struktur des Solo-Protester setzt sich nicht zuletzt mit dieser Ambivalenz der körperlichen Präsenz auseinander.
Die Ausstellung Public Un/Happiness im Ausstellungsraum Magma Maria in Offenbach wird vom 21.4.-28.4. gezeigt. Neben der Midissage am Mittwoch, den 26.4.23, 18 - 20 Uhr, kann die Ausstellung Freitag bis Sonntag, 21.4. - 23.4., 16 - 19 Uhr und nach Vereinbarung besucht werden.
References
Würmell, Christine (2022): Gegendruck –Über Protestbilder und Bildproteste, in SPRINGERIN Heft 2/2022, Wien.
Würmell, Christine: "Image-Sharing und Aktivismus" https://www.hfg-offenbach.de/de/pages/christine-wuermell#ueber [zuletzt abgerufen am: 14. April 2023]