December 11th, 2025
Wenn Schrift Politik wird
In großen Organisationen spiegeln selbst kleine typografische Entscheidungen oft ein ganzes Selbstverständnis wider. Schriften sind Identitätsträger – sie vermitteln Haltung, Geschichte, Stil. Dass das US-Außenministerium nun von Calibri zurück zu Times New Roman wechselt, ist deshalb weit mehr als eine technische Formalie. Es ist ein Statement, das viel über die institutionelle Kultur spricht, die die neue politische Führung etablieren will.
Die Geschichte beginnt im Jahr 2023, als das Ministerium erstmals Calibri zur Hausschrift erklärte. Mit der serifenlosen, klaren Microsoft-Standardschrift verband man das Ziel, offizielle Dokumente barrierefreier, zukunftsgewandter und digitalfreundlicher zu gestalten. Der Schritt war eingebettet in ein breiteres DEIA-Programm (Diversity, Equity, Inclusion, Accessibility). Vor allem Menschen mit Sehbeeinträchtigungen oder Nutzerinnen und Nutzern von Screenreadern sollte die Kommunikation leichter zugänglich gemacht werden. Typografisch passte Calibri perfekt zu dieser Zielsetzung: hohe Bildschirmlesbarkeit, ruhige Zeichenformen, geringe visuelle Komplexität.
Zwei Jahre später erfolgt der Bruch. Außenminister Marco Rubio, seit Kurzem im Amt, erklärte Times New Roman wieder zur offiziellen Hausschrift – mit der Begründung, Calibri wirke zu informell, zu wenig feierlich, und habe dem Außenministerium „Professionalität genommen statt verliehen“. Die Rückkehr zur Serifenschrift wird im Ministerium als Wiederanbindung an traditionelle diplomatische Typografie verstanden: klassische Proportionen, klare Hierarchien, ein vertrautes Bild von Amtskommunikation.

Doch aus Sicht vieler Beobachter – insbesondere aus dem Design- und Accessibility-Bereich – ist der Schritt ambivalent. Serifenschriften haben auf gedruckten Dokumenten weiterhin ihre Qualitäten, doch für digitale Kommunikation schneiden sie in puncto Barrierefreiheit oft schlechter ab (Wer wüsste das besser als die Macher:innen von designforschung.org!). Der Wechsel zu Times New Roman erscheint damit nicht nur als gestalterisches Statement, sondern als bewusste Abkehr von einer Phase, in der Lesbarkeit und Zugänglichkeit als zentrale Leitlinien im Fokus standen. Kritische Stimmen interpretieren ihn als symbolischen Rückzug aus inklusiven Maßnahmen, Befürwortende sehen darin eine notwendige Rückbesinnung auf klassische autoritative Ästhetik.
Wenig überraschend ist, wie stark die Designcommunity auf diese Entscheidung reagiert. Man diskutiert nicht nur über die ästhetischen Unterschiede zwischen den beiden Schriften, sondern über die dahinterstehenden Werte: Fortschritt versus Tradition, digitale Lesbarkeit versus institutionelle Gravität, niederschwellige Zugänglichkeit versus formale Strenge. Schriften werden hier zu Stellvertreterpositionen größerer gesellschaftlicher Auseinandersetzungen.
Der Fall zeigt eindrucksvoll, wie eng Typografie und politische Kultur verwoben sein können. Sie prägt, wie eine Institution gesehen werden möchte – und für wen sie sichtbar sein will. Ob die Rückkehr zu Times New Roman tatsächlich zu „mehr Professionalität“ führt oder eher ein nostalgisches Wiedererstarken formaler Symbolik markiert, wird sich erst zeigen. Unstrittig ist jedoch: Selten wurde auf so breiter Ebene über die politische Bedeutung einer Schriftart diskutiert wie jetzt. Und selten hat man so deutlich gesehen, dass Gestaltung immer auch eine Frage der Haltung ist. Und selten wurde so sichtbar, wie sehr Gestaltung von den Spannungen einer politischen Gegenwart geprägt ist.