February 4th, 2024

Ontologische Betrachtungen des Design

Was passiert, wenn man die Lehre des Seins der Lehre der Gestaltung gegenüberstellt? Designpädagog:innen kämpfen derzeit mit der schwierigen Aufgabe, Design inmitten der Eskalation verschiedener sich überschneidender globaler Krisen zu lehren: Klimawandel, Armut, Rassismus, prekäre Beschäftigung, psychische Gesundheit, Gender-Debatten, um nur einige zu nennen, die durch die Auswirkungen der globalen Pandemie mitunter noch verschärft wurden und werden. Auf der Suche nach der Frage, welche Designtheorie(n) sinnvolle Antworten auf diese Krisen geben kann, zeigt sicher immer deutlicher, wie zentral das Design als Konzept der Moderne überhaupt bei ihrer Entstehung beteiligt war und ist (vgl. Hartnett 2021).

Der Ansatz des Ontologischen Designs, wie ihn beispielsweise Anne-Marie Willis vertritt, liefert Ansatzpunkte, derartige Problemkomplexe auf einer grundlegenderen Ebene anzugehen und den Fokus der Disziplin weg von ihrer oberflächlichen Beschäftigung mit stilistischer und technologischer Entwicklung hin zu der Frage zu verlagern, welche Arten von Welten überhaupt durch Design geschaffen werden und inwiefern diese Welten tatsächlich für die Erhaltung des Lebens auf der Erde zielführend sind (Ebd.) Die Theorie des ontologischen Designs stellt dabei grundsätzlich die Frage: Was ist Design und was macht Design? In ihrem Paper „Ontological Designing“ (2006) schreibt Willis, dass der Akt des Entwerfens grundlegend für das Menschsein ist, und wir durch das, was wir entwerfen, selber entworfen werden.

Grundlagen des Ontologischen Designs

Das Konzept des ontologischen Designs wurde erstmals 1986 in dem Buch Understanding Computers and Cognition des amerikanischen Informatikers Terry Winograd und des chilenischen Ingenieurs und Politikers Fernando Flores formuliert. Deren Überlegungen zum Design von Computertechnologien basiert auf einer Synthese von Ideen, die sowohl von Martin Heidegger, als auch vom chilenischen Biologen Humberto Maturana inspiriert sind.

Grundlegend auch die die Frage, wie eine Gesellschaft Erfindungen hervorbringt, deren Existenz wiederum diese Gesellschaft verändert, aus der die Autor:innen den Gedanken ableiten, dass wir beim Entwerfen von Werkzeugen Seinsweisen entwerfen.

Heideggers Konzept des „In-der-Welt-Seins“ ist heute noch grundlegend im Theoriegebäude des Ontologischen Designs verankert. Geradezu sinnbildlich hierbei: Die Silbentrennung betont, dass „Sein“ immer „in der Welt“ angesiedelt ist. Ein Mensch kann nicht unabhängig von seiner Umgebung existieren.

Ontologischen Design bei Willis

Ontological Design, wie von Anne-Marie Willis beschrieben, bezieht sich auf eine Designphilosophie, die sich auf die grundlegende Natur und Existenz von Dingen konzentriert. Der Begriff “ontologisch” bezieht sich auf Ontologie, eine philosophische Disziplin, die sich mit dem Studium des Seins und der Realität befasst. In Bezug auf Design bedeutet ontologisch, dass das Design nicht nur auf die äußere Erscheinung oder die funktionalen Aspekte eines Objekts abzielt, sondern auch darauf, wie es in die Welt passt und wie es mit dem menschlichen Sein in Verbindung steht. Es bezieht sich auf die Erforschung der tieferen Bedeutung, der Beziehungen und des Kontexts eines Designs.

Im ontologischen Design geht es darum, die grundlegenden Fragen zu stellen: Was bedeutet es, ein Objekt zu sein? Wie beeinflusst ein Objekt den Menschen und die Welt um ihn herum? Welche philosophischen, sozialen und kulturellen Implikationen hat das Design?

Ziel des ontologischen Designs ist es, Designentscheidungen bewusst auf der Grundlage einer umfassenderen Perspektive zu treffen und eine tiefere Verbindung zwischen den Menschen, den Dingen und der Welt zu schaffen. Es versucht, die Grenzen des rein Funktionellen und Oberflächlichen zu überwinden und eine tiefere Bedeutung und Sinnhaftigkeit in den Designprozess einzubringen.

Ontologisches Design und Object-oriented Ontology

In gewisser Weise kann Willis’ Konzept des ontologischen Designs mit dem der “Object-oriented Ontology” (OOO) in Verbindung gebracht werden, einer ebenfalls philosophischen Position (vgl. Graham Harmann), die besagt, dass nicht nur menschliche Subjekte, sondern auch nicht-menschliche Objekte eine eigenständige Existenz haben und in der Welt wirksam sind. Sowohl das ontologische Design als auch die Object-oriented Ontology betonen die Bedeutung der Objekte und ihrer Beziehungen. Sie stellen die Überlegung in Frage, dass Objekte lediglich passive Gegenstände sind, die von menschlichen Akteuren benutzt werden. Stattdessen betonen sie, dass Objekte eine aktive Rolle in der Welt spielen und ihre eigene Wirkmacht („Agency“) haben.

Im ontologischen Design werden die tiefere Bedeutung, die Beziehungen und der Kontext von Objekten untersucht. Es geht darum, wie Objekte mit dem menschlichen Sein in Beziehung stehen und wie sie die Welt um uns herum beeinflussen. Dies schließt auch die Anerkennung der Eigenständigkeit und Wirkungsmacht der Objekte ein, ähnlich wie es die Object-oriented Ontology betont. Dabei spielt auch die Idee einer “flachen Ontologie” eine Rolle, bei der Objekte als gleichwertig betrachtet werden, unabhängig von – beispielsweise – ihrer Größe oder Komplexität. Dies steht im Einklang mit dem Ansatz des ontologischen Designs, das die grundlegende Natur und Existenz von Objekten erforscht, unabhängig von ihrer scheinbaren Bedeutung oder Wertigkeit.

Es ist dabei wichtig anzumerken, dass das ontologische Design und die Object-oriented Ontology unterschiedliche theoretische Hintergründe und Herangehensweisen haben. Gleichwohl teilen sie gemeinsame Interessen und betonen beiderseits die Bedeutung der Objekte und ihrer Beziehungen. Beide Ansätze erweitern somit das Verständnis des Designs im Speziellen und der Existenz im Allgemeinen, indem sie über rein menschliche Perspektiven hinausgehen und die Eigenständigkeit und Wirksamkeit von Objekten anerkennen.

Ontologisches Design und De-Futuring

Die darin eingebetteten Überlegungen auf die gesellschaftlichen und politischen Implikationen des Designs weisen – wenig überraschend – auch eine Nähe zu den Arbeiten Tony Frys auf. In seinem Buch “De-Futuring” argumentiert dieser beispielsweise, dass das gegenwärtige Designparadigma auf einer nicht-nachhaltigen und zukunftszerstörenden Denkweise basiert. Er fordert ein Umdenken im Design, das sich nicht nur auf die Lösung oberflächlicher Probleme konzentriert, sondern auch die tieferen strukturellen Ursachen von Umweltzerstörung und sozialen Ungerechtigkeiten angeht. Diese Kritik spiegelt das ontologische Design wider, das sich mit den grundlegenden Fragen und Zusammenhängen des Designs auseinandersetzt.

In seinem Buch “Design as Politics” argumentiert Fry, dass Design eine politische Dimension hat und in sozialen, ökonomischen und ökologischen Kontexten eingebettet ist. Er fordert Designer:innen auf, sich ihrer Verantwortung bewusst zu sein und aktiv an der Gestaltung einer gerechteren und nachhaltigeren Gesellschaft mitzuwirken. Auch dieser Aufruf zur politischen Dimension des Designs steht im Einklang mit dem ontologischen Design, das die gesellschaftlichen Auswirkungen und den Kontext des Designs in Betracht zieht.

Beide Ansätze – Willis’ Ontologisches Design und Frys “De-Futuring” bzw. “Design as Politics” setzen sich auf ähnliche Weise mit der grundlegenden Natur des Designs, den sozialen Auswirkungen und den politischen Implikationen auseinander. Beide betonen die Notwendigkeit, über „herkömmliche“ Designpraktiken hinauszugehen und ein tiefgreifendes Verständnis für die Verbindungen zwischen Design, Gesellschaft und Umwelt zu entwickeln, um eine nachhaltigere und gerechtere Zukunft zu gestalten.

Rechtes Gedankengut

Frys mehrfach geübte, keineswegs unberechtigte Kritik an der Moderne bzw. der modernen westlichen Zivilisation insbesondere in Bezug auf ihre Auswirkungen auf die Umwelt und soziale Ungerechtigkeiten, ist dabei keineswegs unproblematisch. Kritiker:innen argumentieren, dass diese Kritik mit rechtspopulistischen oder rechtsextremen Strömungen in Einklang gebracht werden kann, die ebenfalls eine Ablehnung der modernen Gesellschaftsordnung betonen. Ähnliches gilt für Tony Frys Betonung des Lokalen. In seinem Ansatz für Nachhaltigkeit und Design hebt Fry die Bedeutung des Lokalen und der Gemeinschaft hervor. Einige Kritiker:innen sehen darin eine Nähe zur Idee des Ethnopluralismus, die in rechtsextremen Kreisen populär ist und die Betonung auf kultureller und rassischer Homogenität setzt. Pikanter wird dies umso mehr durch Frys mehrfach geäußerte Nähe zu den Ideen Carl Schmitts, dessen politische Theorien während des Dritten Reichs eine einflussreiche Rolle spielteb und dessen Ideen mit autoritärem Denken und Nationalismus assoziiert werden.

Fry selbst hat diese Anschuldigungen mehrfach bestritten und betont, dass er nicht mit den politischen Ansichten von Carl Schmitt übereinstimmt, und sich überdies wiederholt gegen rechtes Gedankengut und Autoritarismus ausgesprochen. Dennoch sind die kritischen Interpretationen seiner Ideen und deren Verbindung zu politisch rechts verorteten Strömungen Teil einer noch nicht zu Ende geführten Debatte.

Designtheorie als Designphilosophie

Die Bedeutung des ontologischen Designs und sein Einfluss auf die Designphilosophie bleiben davon weitgehend ungetrübt. Die Ideen von Willis und vielen anderen, die an ähnlichen Überlegungen arbeiten, erweitern das Verständnis des Designs und fordern dazu auf, über seine Oberflächen hinauszugehen, um die tiefere Bedeutung, Beziehungen und Kontexte von Objekten zu erforschen. Idealerweise werden Designer:innen dadurch dazu ermutigt, eine aktivere Rolle bei der Gestaltung einer nachhaltigeren und sinnvolleren Welt einzunehmen. Willis’ Ansatz, eine tiefere Verbindung zwischen Menschen, Dingen und der Welt herzustellen und das Design als einen ganzheitlichen Prozess zu betrachten, mag dabei behilflich sein.

References

Bryant, Levi / Harman, Graham / Srnicek, Nick (2011): The Speculative Turn: Continental Materialism and Realism. Melbourne.

Fry, Tony (2010): Design as Politics. Berg Publishers

Fry, Tony (2020): Defuturing: A New Design Philosophy (Radical Thinkers in Design). Bloomsbury Visual Arts.

Hartnett, JP (2021): Ontological Design has become influential in Design Academia – But What is it? AIGA Eye on Design.

Harman, Graham (2002): Tool-Being: Heidegger and the Metaphysics of Objects. Peru, IL: Open Court.

Harman, Graham (2011): The Quadruple Object. United Kingdom: Zero Books.

Willis, Anne-Marie (2006): Ontological Designing. Design philosophy papers 4 (2), 69-92

Download & Citation Info

Weber, Michelle (2024): Ontologische Betrachtungen des Design. DESIGNABILITIES Design Research Journal, (02) 2024. https://tinyurl.com/27vb8kbs ISSN 2511-627